Führung

Giving Voice to Values – Moralische Werte im Unternehmen äußern und verteidigen

In Betrieben kann es immer wieder Situationen geben, in denen es zu moralisch fragwürdigen Handlungen kommt: Rechnungen gegenüber dem Kunden werden künstlich überhöht oder Bestechungsgelder gezahlt, um an neue Aufträge zu gelangen. Doch wie sollte man handeln, wenn man mit solchen Situationen konfrontiert wird? Genau hierauf versucht „Giving Voice to Values“ (GVV) eine Antwort zu geben und selbstwirksames Handeln bezüglich der eigenen Werte zu ermöglichen. Bei erfolgreicher Umsetzung kann dies auch positive Effekte für das eigene Unternehmen haben.

Der GVV-Ansatz, von Mary C. Gentile Ende der 2000er entwickelt, reagiert auf den Umgang mit Ethik im Unternehmenskontext. Während Unternehmensethik im universitären Kontext meist theoretisch betrachtet wird, zielt Gentile darauf ab, diese Lücke zu schließen. Sie fragt danach, wie man effektiv handeln kann, wenn man weiß, was richtig ist, und lenkt den Fokus von der Theorie hin zur praktischen Umsetzung. Ihr Ziel ist es, ein "moralisches Muskelgedächtnis" zu entwickeln, das in ethisch fragwürdigen Situationen wirksame Reaktionen ermöglicht (Gentile, 2022).

Die sieben Säulen des GVV-Konzepts

Kern des GVV-Konzepts sind sieben Säulen (s. Abb. 1), die in konzeptioneller Verbindung miteinander stehen. Die Säulen können dabei als Grundlage eines Gedankenexperiments verstanden werden, bei dem es darum geht, wie man von seinen eigenen Werten hin zur aktiven Umsetzung kommt (Edwards/Kirkham, 2014). Inhaltlich gestalten sich die Säulen dabei wie folgt aus (s. Ethics Unwrapped, 2023):

  1. Values: Bezüglich unserer Kernwerte haben wir oftmals große Überschneidungen zu anderen Personen, etwa wenn es um Ehrlichkeit, Fairness, Respekt oder Mitgefühl geht. Menschen unterscheiden sich größtenteils lediglich darin, wie diese Werte gelebt werden. Wenn ethische Konflikte diese Kernwerte berühren sollten, kann man sich gemeinsam auf diese Rückbesinnen und versuchen auf dieser Basis eine gemeinsame Lösung zu finden.

  2. Choice: Nahezu jeden Tag sehen wir uns mit Situationen konfrontiert, in denen wir die Wahl haben nach unseren Werten zu handeln oder dies zu unterlassen. Wir können dabei sowohl aus den Situationen lernen, in denen wir unseren Werten treu geblieben sind als auch aus Momenten, in denen uns dies nicht gelungen ist. Dabei sollte man sich mit diesen Situationen auseinandersetzen und überlegen, welche Faktoren es leichter gemacht haben, für seine Werte einzustehen (Enabler). Ebenso können wir die Aspekte herausfiltern, die es uns erschwert haben, unsere Werte zu verteidigen (Disabler). Diese Erkenntnisse helfen, uns auf Drucksituationen vorzubereiten.

  3. Normalization: Die dritte Säule verdeutlicht, dass ethische Konflikte keine Ausnahmen, sondern ein alltäglicher Bestandteil in unserem Leben sind. Das Bewusstsein dafür ermöglicht es, Konflikte frühzeitig zu erkennen und ruhig, begründet und rational zu reagieren. Die eigene Selbstverteidigung wird dadurch in kritischen Momenten gestärkt.

  4. Purpose: Die vierte Säule stellt die Frage, welche Ziele man durch seine Arbeit verfolgt. Geht es lediglich darum, die eigenen monetären Gewinne zu maximieren oder setzten wir uns als Ziel, wertegeleitet zu handeln und somit als Vorbild für andere zu dienen? Dabei ist es wichtig, langfristig darüber nachzudenken, wo man auf Dauer stehen möchte. Definieren wir persönliche Einstellungen schon im Vorfeld, sind wir resilienter gegenüber ethischen Drucksituationen im Unternehmen.

  5. Self-Knowledge & Alignment: Immer wieder werden bestimmte Charaktereigenschaften herausgestellt, um in Konflikten erfolgreich sein zu können, etwa Extrovertiertheit, Mut oder Risikobereitschaft. Besitzt man diese Eigenschaften nicht, kann es zu einem Gefühl der Machtlosigkeit kommen. Um dieser Machtlosigkeit entgegenzuwirken, sollten wir bei der Suche nach erfolgreichen Konfliktbewältigungsstrategien auf jene zurückzugreifen, die zum eigenen Charakter passen. Demnach sind wir alle in der Lage unsere Werte erfolgreich und effektiv zu vertreten, nur ist das richtige Skript für jeden anders.

  6. Voice: Vorbereitung ist entscheidend, wenn wir unsere Werte äußern möchten. Notizen helfen, uns auf Gespräche vorzubereiten. Im Idealfall trägt man diese Notizen auch noch einer Probeaudienz vor, damit man ein Gefühl für die spätere Situation und Feedback zum eigenen Auftreten erhalten kann. Ein weiterer Aspekt, mit dem man sich auseinandersetzen sollte, ist der Kontext des Gesprächs. Wann und wo wird das Gespräch stattfinden und wer wird an dem Gespräch beteiligt sein? Hat man hierüber eine klare Vorstellung trägt dies dazu bei, entspannter der Situation entgegenzutreten. Auch eine Orientierung am Erfolg anderer kann hilfreich sein, wenn man für das spätere Gespräch übt.

  7. Reasons & Rationalizations: Spricht man in einem Gespräch ethische Probleme an, so ist es wahrscheinlich, dass das Gegenüber zumindest zu Beginn mit Einwänden reagiert, gegen die man nur schwer gegenargumentieren kann. Damit dieses Risiko umgangen wird, sollte man sich im Vorfeld mit der Perspektive und möglichen Argumenten der gegenüberliegenden Seite befassen. Gentile zu Folge gibt es vier typische Aussagen, die immer wieder zur Verteidigung unethischer Handlungen ins Feld geführt werden:

    1. „Es ist nicht meine Verantwortung mich darum zu kümmern.“

    2. „Das ist eine Standardprozedur in dieser Industrie/ in diesem Teil der Welt/ …“

    3. „Das mag zwar ein falsches Verhalten sein, aber die Thematik ist nicht wichtig genug, um sich im Moment damit zu befassen.“

    4. „Ich möchte niemanden (aus meinem Team/ meiner Firma) in Sorge bringen, indem ich dieses Problem anspreche.“

Ist man sich dieser Argumentationslinien bewusst, gibt es auf all diese Aussagen entsprechende Gegenargumente, die man ins Feld führen und mittels derer man seine Werte wirksam verteidigen kann.


Abb. 1: Die sieben Säulen des GVV-Ansatzes


Die sieben Säulen des GVV-Konzepts bieten eine praktische Anleitung, wie man seine eigenen Werte verteidigen und sich für sie einsetzen kann. Sind wir uns unserer eigenen Werte bewusst, müssen wir uns fragen, in welchen Momenten wir es schaffen, uns für diese einzusetzen. Dafür ist es zunächst notwendig, selbstreflektiert zu agieren, seine eigenen Stärken und Schwächen zu filtern und im Anschluss Maßnahmen zu wählen, die den eigenen Stärken entgegenkommen. Schafft man dies, ist man in der Lage, seine Stimme zu erheben und die eigenen Werte effektiv zum Ausdruck zu bringen.

Vorteile von GVV fürs Unternehmen und erfolgreiche Implementation des Konzepts

Das GVV-Konzept stattet vor allem Individuen mit Mitteln aus, gegen moralisches Fehlverhalten im Betrieb anzugehen, doch gerade dadurch bringt es auch unmittelbare Vorteile für Unternehmen mit sich. Wenn nicht nur die Führungsebene für Wertemanagement verantwortlich ist, sondern jeder Mitarbeiter dazu ermutigt wird, moralische Werte zu verteidigen, entsteht eine Unternehmenskultur, in der Fehlverhalten deutlich abnimmt. Dies ist gerade in Zeiten hilfreich, in denen das Arbeitsumfeld deutlich dynamischer geworden ist, man in mehreren Projekten gleichzeitig arbeitet und eine hierarchische Führung zunehmend an ihre Grenzen stößt. Wird unethisches Verhalten immer wieder in diskursiver Form von den Mitarbeitenden untereinander hinterfragt und nach gemeinsamen Lösungen gesucht, kann sich ein gemeinsames Wertekonzept entwickeln, das als Leitbild für alle im Unternehmen dient. Durch die zunehmende Selbstwirksamkeit des Individuums wird auch eine verstärkte Kontrolle nach oben hin möglich, wodurch das Management ebenfalls stärker zu moralischen Handlungen angehalten wird (Tams/Gentile, 2020).

Um die Vorteile von GVV nutzen zu können, können Firmen vor allem auf zwei Ebenen aktiv werden. Die erste Ebene bezieht sich auf die Förderung der Mitarbeiter, die über Kommunikation und Trainingsprogramme ein Gefühl dafür bekommen sollen, wie sie Werte im Unternehmen erfolgreich vertreten können. Diese Programme sollten sich an den GVV-Säulen orientieren, also einen Fokus auf aktives Handeln legen. Damit der Austausch in den Formaten nicht in Überemotionalisierungen endet, ist es empfehlenswert diese Seminar extern durchzuführen. Dadurch können Argumente rationalisiert und das Handeln der Mitarbeiter auf eine wissensbasierte Basis gestellt werden. Nimmt man diese Angebote ernst, kann sich eine ethische Unternehmenskultur ausbilden und Fehlverhalten im Betrieb mit hoher Wahrscheinlichkeit reduziert werden (Gonzalez-Padron et al., 2012).

Die zweite Ebene zielt auf das Management im Unternehmen ab. Über die Trainingsprogramme hinaus ist dieses dafür verantwortlich einen Raum zu schaffen, wo ein Austausch über die Werte ermöglicht werden kann. Die Manager selbst sind zwar ebenfalls dazu angehalten, ihre Stimme in den Diskurs mit einfließen zu lassen, aber die Verantwortung normatives Handeln sicherzustellen, liegt nicht allein bei diesen, sondern ebenso bei allen anderen Unternehmensmitgliedern. Die Kernaufgabe einer nachhaltigen Geschäftsführung bestehen darin, andere beim Ausüben ihrer moralischen Selbstwirksamkeit zu unterstützen und diese in ihrem Handeln zu bestärken. Dafür müssen die Plattformen drei Kriterien erfüllen:

  1. Die Einrichtung eines Forums für gemeinsamen Austausch

  2. Die Vorgabe von Normen, um angemessenes Verhalten in dem Austausch sicherzustellen

  3. Die Herausbildung von Fähigkeiten, um wirksamer Teil des Austausches zu werden

Schafft es das Management die Werte glaubwürdig  zu leben („Walk the Talk“), kann dies die Mitarbeitermotivation im Betrieb fördern und die Vertrauenskultur im Unternehmen stärken. Hierdurch kann GVV, wenn das Management aktiv zur Förderung des Konzepts beiträgt, über das eigentliche Ziel der individuellen Wertevertretung hinaus, positive Effekte für Unternehmen mit sich bringen (Tams/Gentile, 2020).

 

Die IW Akademie führt seit über 10 Jahren erfolgreich Seminare mit (Nachwuchs)Führungskräften, UnternehmensvertreterInnen und Studierenden durch und zeigt, wie eine ethische Unternehmenskultur ausgebildet und Fehlverhalten im Betrieb mit hoher Wahrscheinlichkeit reduziert werden kann. Sie haben Interesse? Melden Sie sich gerne bei uns!

 

Quellen

Edwards, Mark G. / Kirkham, Nin, 2014, Situating 'Giving Voice to Values': A Metatheoretical Evaluation of a New Approach to Business Ethics, Journal of Business Ethics, 121. Jg., S. 477-495, https://doi.org/10.1007/s10551-013-1738-7 [07.03.2024]

Ethics Unwrapped, 2023, Intro to GVV, https://ethicsunwrapped.utexas.edu/video/introduction-to-giving-voice-to-values [07.03.2024]

Gentile, Mary C., 2022, Giving Voice to Values: How To Speak Your Mind When You Know What’s Right, Villanova Law Review, 66. Jg., Nr. 5, S. 915-923

Gonzalez-Padron, Tracy L. / Ferrell, O. C. / Ferrell, Linda / Smith, Ian A., 2012, A Critique of Giving Voice to Values Approach to Business Ethics Education, Journal of Academic Ethics, 10. Jg., S. 251-269, https://doi.org/10.1007/s10805-012-9168-1 [07.03.2024]

Tams, Carsten / Gentile, Mary C., 2020, Giving voice to values: responsible management as facilitation of ethical voice, in: Laasch, Oliver / Suddaby, Roy / Freeman, R. E. / Jamali, Dima (Hrsg.), Research Handbook of Responsible Management, Cheltenham, S. 532-548, https://doi.org/10.4337/9781788971966.00045 [07.03.2024]

David arbeitet als studentischer Mitarbeiter im Kompetenzfeld Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik des IW Köln. Er studierte im Bachelor/Master Politikwissenschaften in Göttingen und derzeit Betriebswirtschaftslehre im Bachelor an der Universität zu Köln.