Illegales Doping im Sport – ein Dilemma
Auch in diesem Jahr ist Doping ein großes Thema bei den Olympischen Sommerspielen in Rio. Man könnte meinen, es gehe vielmehr um die gedopten Spieler als um die eigentlichen sportlichen Leistungen. Doch wie kann man den Reiz des Dopings erklären? Die Spieltheorie könnte dabei helfen, diese Frage zu beantworten.
Viele Sportler lügen und betrügen durch leistungssteigernde Medikamente und schaden gleichzeitig ihrer Gesundheit. Trotz intensiver Kontrollen werden eine Vielzahl von Dopingfällen, wenn überhaupt, erst Jahre später aufgedeckt. Das führt zu einem generellen Grundmisstrauen in sportliche Wettkämpfe. Diese Unsicherheit macht es nachvollziehbar, dass Zuschauer Sportler von vornherein als schuldig befinden und daran zweifeln, dass es überhaupt noch Sieger gibt, die sich nicht gedopt haben. Zudem ist es absurd: Wenn sich kein Sportler dopte, würden die Siegeschancen für alle genauso hoch sein, als wenn sich alle Sportler dopten. Sie würden keine Gesundheitsrisiken in Kauf nehmen und die Chancengleichheit würde gewährleistet sein.
Warum also wird im Sport gedopt, wenn es so viele Nachteile und insgesamt keine Vorteile gibt?
Die Entscheidung, auf leistungssteigernde Mittel zurückzugreifen oder nicht, kann mit dem aus der Spieltheorie bekannten Gefangenendilemma verglichen werden. Dabei sind zwei Gefangene getrennt eingesperrt und haben jeweils die Möglichkeit, den anderen zu verraten oder nicht, wobei die Strafe für beide geringer ist, wenn sie kooperieren und sich nicht gegenseitig verraten. Jedoch hat der einzelne den Anreiz, den anderen zu verraten, um im Falle, dass der andere ihn nicht verrät, eine geringere Strafe zu erhalten. Beide handeln also individuell rational, wenn sie den anderen verraten. Aber beide würden insgesamt die geringste Strafe erhalten, wenn sie kooperierten und einander nicht verrieten. Abbildung 1 verdeutlicht dieses Dilemma und die möglichen unterschiedlichen Ausgänge.
Abbildung 1
Eigene Darstellung
Das Dilemma im Sport, auf leistungssteigernde Mittel zurückzugreifen oder nicht, ähnelt dem beschriebenen Gefangenendilemma. Sportler stehen vor der Entscheidung, sich zu dopen oder sauber zu bleiben. Aufgrund der Informationsasymmetrie zwischen Sportler A und Sportler B wird in diesem Beispiel vereinfacht von einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit ausgegangen, dass der jeweils andere sich dopt oder sich nicht dopt (Abbildung 2).
Die Matrix in Abbildung 2 zeigt, dass die dominante Strategie beider Sportler die des Dopens ist (Nash, 1951): Wenn Sportler B annimmt, dass Sportler A sich nicht dopt, wird er dennoch die Option „dopen“ wählen, da sie ihm bessere Siegeschancen bietet. Dabei muss er abwägen zwischen dem Nutzen aus dem Doping und den gesundheitlichen Risiken. Der Nutzen des Dopens nimmt mit zunehmender Anzahl an Sportlern, die dies ebenfalls tun, ab. Nimmt Sportler B an, Sportler A dopt sich, wird er ebenfalls die Entscheidung treffen, sich zu dopen, da er nur auf diese Weise schlechtere Siegeschancen vermeiden kann. Würde er die Option „nicht dopen“ wählen, wären seine Gewinnchancen in beiden Fällen geringer. Selbiges gilt auch für die Entscheidungen von Sportler A. Demnach wird nicht mehr nur um einen Vorteil gedopt, sondern auch gedopt, um keinen Nachteil gegenüber dem Konkurrenten zu haben (Dietmann, 2008).
Abbildung 2
Quelle: Angelehnt an Keck/Wagner, 1990, 108
Warum kooperieren die Sportler nicht?
Zu Kooperation gehört Vertrauen. Da sich die Sportler in dem Beispiel nur einmal entscheiden (in der Spieltheorie One-Shot-Game genannt), können sie auf keine Erfahrungswerte zugreifen und daher kein Vertrauen in das Verhalten der anderen Sportler aufbauen. Aufgrund der Gefahr, dass bei eigener Kooperation (nicht dopen), der andere sich doch für den Verrat entscheidet (dopen), droht dem Vertrauenden sozusagen die härteste Strafe: Er hat beim Wettkampf geringere Siegeschancen als sein Konkurrent, der sich dopt. Er ist gewissermaßen gezwungen, sich dem möglichen Doping des anderen anzuschließen – ein Dilemma.
Es besteht also kein Anreiz, von dieser Strategie abzuweichen. Aus wohlfahrtstheoretischer Sicht ist dieses Gleichgewicht jedoch ineffizient. Die Siegeschancen bleiben unverändert und beide Sportler müssen gesundheitliche Risiken auf sich nehmen. Sie wären besser gestellt, wenn sie beide das dopen unterlassen würden.
Außerdem spielt die soziale Stigmatisierung von Doping eine Rolle. Ist kein Sportler gedopt, ist die soziale Norm, nicht zu dopen, stark ausgeprägt und die sozialen Kosten für unsportliches Verhalten sind hoch, wenn das Doping aufgedeckt wird. Sind jedoch viele Sportler gedopt, wird Fehlverhalten weniger stigmatisiert und die Hemmschwelle, zu dopen, sinkt (Vöpel, 2006).
Wie kann man Doping dennoch reduzieren?
Aufklärung über die lebensgefährlichen Risiken und die vielen frühzeitigen Tode von ehemaligen Sportlern, die aus dem früheren Doping resultieren, scheinen Sportler nicht abzuschrecken. Aufgrund der fehlenden Transparenz sind regulierende Maßnahmen notwendig: Längere Sperrfristen, höhere Geldbußen und Kontrollintensivierung. Bessere objektive Kontrollen könnten dabei helfen, Doping frühzeitig aufzudecken. Wenn dann die Aufdeckungswahrscheinlichkeit sowie die Strafen ausreichend hoch wären, würde die Strategie „Dopen“ stark an Attraktivität verlieren, denn eine Sperrung würde den Sportlern den Anreiz nehmen, sich überhaupt zu dopen. Oftmals sind die Sperrfrist von 2 Jahren und damit die Kosten für illegales Doping nicht hoch genug.
Wenn unerlaubte Substanzen nachgewiesen werden könnten, würden vor allem die Sportler selbst davon profitieren, da sie wüssten, dass sich auch ihre Konkurrenten nicht dopen – das Gefangenendilemma wäre überwunden. Doch solange Dopingsubstanzen nicht wirksam nachgewiesen werden können, bleibt das Gefangenendilemma im Sport präsent.
Auch der Leistungsdruck im Sport sowie die alleinige Fokussierung auf Erfolge führen dazu, dass Sportler leistungssteigernde Medikamente einnehmen. Hierbei wäre es eine Überlegung wert, den Medaillenspiegel abzuschaffen, der ohnehin nicht repräsentativ für die Leistungen eines Landes ist, und stattdessen andere Werte (gemeinsames Interesse, Spaß am Sport, Kooperation) in den Vordergrund zu stellen. Denn eine sportliche Leistung zählt immer nur im Vergleich zu anderen sportlichen Leistungen. Und wenn alle kooperieren, gibt es immer noch Sieger – und zwar richtige.
Quellen:
Nash, John, 1951, Non-Cooperative Games, in: The Annals of Mathematics, 54. Jg., Nr. 2, S. 286–295
Vöpel, Henning, 2006, Doping im Radsport als kollektives Gleichgewicht, Hamburg
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