Ein Dilemma: (Keine) Frauen in Führungspositionen
Dass Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind, hat vielfältige Gründe. Doch sind Quoten und Gesetze die Lösung?
Der prozentuale Anteil von Frauen in Führungspositionen liegt in Deutschland bei ca. 30 Prozent. Die Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass sich der Anteil seit über 10 Jahren nicht erhöht hat. Deutschland liegt damit im europäischen Vergleich im unteren Drittel (Destatis, 2023).
Der Anteil der Frauen in hochrangigen Führungspositionen der Top-200-Unternehmen jedoch steigt wie aktuelle Daten des Managerinnen-Barometers zeigen (siehe Abbildung 1). Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung könnte das im Jahr 2021 wirksam gewordene „Zweite Führungspositionen-Gesetz“ sein. Dieses besagt unter anderem, dass der Vorstand eines börsennotierten und zugleich paritätisch mitbestimmten Unternehmens bestehend aus mehr als drei Mitgliedern zukünftig mindestens aus einer Frau und mindestens einem Mann besetzt sein muss (BMFSFJ, 2021).
Abbildung 1: Entwicklung der Mitglieder in Vorständen und Geschäftsführungen der Top-200-Unternehmen
Quelle: Graphik auf Basis der Daten Kirsch et al., 2023a, 23
Auch wenn die gesetzlichen Regelungen offenbar einen Beitrag zur Steigerung der Frauen in Führungspositionen leisten, sind Quoten und zunehmende gesetzliche Regelungen laut einer Analyse von Schmidt und Stettes (2018) nicht zielführend. Ihre Daten zeigen eine ähnliche Verteilung der Bewerbungen von Frauen auf Führungspositionen und deren tatsächlichen Anteil an Führungspositionen. Das heißt konkret, dass sich Frauen deutlich seltener auf Führungspositionen bewerben als Männer, wenngleich ihr prozentualer Anteil an der Belegschaft eines Unternehmens nicht stark von denen der Männer abweicht. Eine Quote würde der unternehmerischen Praxis somit nicht gerecht.
Als einzig signifikant positiv einflussnehmenden Indikator eruieren die Wissenschaftler das Vorhandensein von Teilzeitbeschäftigung in Führung. Diese Erkenntnis steht im Einklang mit einer wesentlichen Hürde für Frauen in Führungspositionen, die Schmidt und Stettes in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehen. Die Unvereinbarkeit könnte dazu führen, dass Frauen Führungs- und Karrierevorhaben frühzeitig verwerfen (Schmidt/Stettes, 2018). Eine Auswertung der Erwerbstätigenbefragung von BIBB/BAuA zeigt darüber hinaus, dass Frauen bei vergleichbaren persönlichen Merkmalen seltener Karriereziele verfolgen als Männer (Hammermann et al., 2015). Die Gründe für die geringe Karriereorientierung bleiben jedoch ungeklärt. Neben strukturellen Erklärungsansätzen kann das Ungleichgewicht soziologische Ursachen haben.
Ein soziologischer Erklärungsansatz: Ein Mismatch von agentischer Führung und der kommunalen Geschlechterrolle der Frau
Auch wenn männliche und weibliche Geschlechterrollen aufzuweichen scheinen, nehmen Männer und Frauen immer noch unterschiedliche Aufgaben in unserer Gesellschaft wahr (siehe Eyerund/Orth, 2019). Dadurch werden unterschiedliche Erwartungen an die Eigenschaften der Geschlechter und deren Verhalten gestellt. Eine Abweichung des zu erwartenden, wünschenswerten Verhaltens wird mit negativer Bewertung und Stereotypisierung bestraft. Nach der „Theorie der sozialen Rollen“ werden Männern und Frauen typischerweise unterschiedliche Eigenschaften zugesprochen: Männern agentische und Frauen kommunale. Agentische Eigenschaften umfassen aggressive, wettbewerbsorientierte, durchsetzungsfähige und selbstbewusste Tendenzen, wohingegen kommunale Eigenschaften durch hilfsbereites, freundliches, empathisches und fürsorgliches Verhalten gekennzeichnet sind (Eagly, 1987).
Die Geschlechterrollen nehmen auch einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung von Männern und Frauen in Führungspositionen. Dies erklärt die Rollenkongruenztheorie, welche die Übereinstimmung zwischen Geschlechterrollen und weiteren sozialen Rollen thematisiert (Eagly/Karau, 2000). Verschiedene Studien bestätigen, dass die Führungsrolle mit Personen assoziiert wird, welche ein hohes Maß an agentischen Eigenschaften und ein geringes Maß an kommunalen Eigenschaften zeigen (siehe z. B. Carli/Eagly, 2016). Durch die damit agentische Definition der Führungsrolle besteht eine Inkongruenz zur kommunalen Geschlechterrolle der Frau, aber hingegen eine hohe Übersteinstimmung mit der Geschlechterrolle des Mannes.
Konkret resultiert die Inkongruenz der weiblichen, kommunalen Geschlechterrolle und der agentischen Führungsrolle in einer Stereotypisierung von Frauen im Führungskontext. Diese Stereotypisierung, die insbesondere durch Männer (unbewusst) ausgeübt wird, führt dann zu einem Unconscious Bias (deutsch: Unbewusste Voreingenommenheit) (Hentschell et al., 2019). Denn verhalten sich Frauen in Führung entsprechend ihrer Geschlechterrolle kommunal, erfüllen sie nicht die Qualitäten, die an die agentische Führungsrolle gestellt wird. Ihr Führungspotenzial wird damit schlechter bewertet. Verhalten sich Frauen entgegen ihrer Geschlechterrolle jedoch agentisch und erfüllen damit die Anforderungen an die Führungsrolle, unterliegen sie einer weniger positiven Bewertung ihres tatsächlichen Führungsverhaltens (Abbildung 2).
Abbildung 2: Stereotypisierung von Frauen nach der Rollenkongruenztheorie
Quelle: Eigene Darstellung in inhaltlicher Anlehnung an Eagly/Karau, 2000
Es betrifft Männer und Frauen gleichermaßen: Denn diverse Teams sind die erfolgreichsten.
Mehr Frauen in Führungs- und Entscheidungspositionen würden sich für die Unternehmen lohnen. Die Daten aus einem 2020 veröffentlichen McKinsey Report zeigen, dass Unternehmen im obersten Quartil der Geschlechtervielfalt in den Führungsteams um eine 25 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, überdurchschnittlich profitabel zu sein, verglichen mit Unternehmen im untersten Quartil. Der Report zeigt ebenfalls, dass je diverser die Führungsteams sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer überdurchschnittlichen Leistung ist. Außerdem zeigen die Autoren, die die Daten im Zeitverlauf schon seit 2015 erheben, dass sich die Beziehung der Diversität und der Wahrscheinlichkeit einer überdurchschnittlich guten Unternehmensleistung im Laufe der Zeit verstärkt hat (Dixon-Fyle et al., 2020). Als Grund hierfür nennt eine Studie beispielsweise die unterschiedliche Risikoneigung von Männern und Frauen. Wohingegen Männer oftmals zu risikofreudig sind, sind Frauen zu risikoscheu und verpassen hierdurch wichtige Chancen für das Unternehmen. In einer Gruppenzusammensetzung sind Entscheidungen zu Gunsten des dominierenden Geschlechts verzerrt (de Miranda et al., 2017) und eine Ausgeglichenheit der Geschlechter demnach fördernd für den Unternehmenserfolg: Keine reinen Männer-Teams und keine reinen Frauen-Teams.
Damit nun mehr Frauen in Führungspositionen gelangen und in dieser erfolgreich sein können, müsste nach dem soziologischen Erklärungsansatz die agentische Definition der Führung aufweichen und eine inklusive Arbeitskultur geschaffen werden. Auch Expertinnen stellen heraus „(…) dass es auch auf eine passende Unternehmenskultur an[kommt], auf ein Klima, das Gleichstellung begünstigt und eine inklusive Arbeitskultur fördert.“ (Kirsch et al., 2023b). Erreichen können Unternehmen diese durch organisatorische Praktiken der Gleichstellung oder formalisierte Führungsprogramme für Frauen (Koburtay et al., 2019).
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Quellen
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), 2021, Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen tritt in Kraft, https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/gesetz-fuer-mehr-frauen-in-fuehrungspositionen-tritt-in-kraft-164124 [19.01.2023]
Carli, Lina / Eagly, Alice, 2016, Women face a labyrinth: An examination of metaphors for women leaders. Gender in Management: An International Journal, 31 (8), S. 514–527
de Miranda, Katharina Lima / Detlefsen, Lena / Schmidt, Ulrich, 2019, Working Paper: Can Gender Quotas Prevent Risky Choice Shifts? The Effect of Gender Composition on Group Decisions under Risk, Kiel Institute for the World Economy
Destatis, 2023, Frauen in Führungspositionen in der EU, https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/Qualitaet-der-Arbeit/_dimension-1/08_frauen-fuehrungspositionen.html#:~:text=Nur%20jede%20dritte%20F%C3%BChrungskraft%20ist,der%20F%C3%BChrungspositionen%20von%20Frauen%20besetzt. [19.01.2023]
Dixon-Fyle, Sundiatu / Dolan, Kevin / Hunt, Dame Vivian / Prince, Sara, Diversity wins: How inclusion matters, https://www.mckinsey.com/featured-insights/diversity-and-inclusion/diversity-wins-how-inclusion-matters# [06.02.2023]
Eagly, Alice ,1987, Sex differences in social behavior: A social-role interpretation, Hillsdale, NJ: Erlbaum
Eagly, Alice / Karau, Steven, 2000, Role Congruity Theory of Prejudice Toward Female Leaders. Psychological Review, 109 (3), S. 573-598.
Eyerund, Theresa / Orth, Anja Katrin, Geschlechterrollen: In der Theorie modern, in der Praxis klassisch, IW-Kurzbericht Nr. 17
Hentschell, Tanja / Heilman, Madeline / Peus, Claudia, 2019, The Multiple Dimensions of Gender Stereotypes: A Current Look at Men’s and Women’s Characterizations of Others and Themselves, Frontiers in Psychology, 10 (11), S. 1-19
Kirsch, Anja / Sondergeld, Virginia / Thompson, Philipp Alexander / Wrohlich, Katharina, 2023b, Weg zur Geschlechterparität in Spitzengremien bleibt weit – Unternehmen sind am Zug, https://www.diw.de/de/diw_01.c.863502.de/publikationen/wochenberichte/2023_03_1/weg_zur_geschlechterparitaet_in_spitzengremien_bleibt_weit_____unternehmen_sind_am_zug__editorial.html [23.01.2023]
Kirsch, Anja / Sondergeld, Virginia / Wrohlich, Katharina, 2023a, Erneut mehr Frauen in Vorständen großer Unternehmen – durch Beteiligungsgebot angestoßene Dynamik lässt aber nach, https://www.diw.de/de/diw_01.c.863504.de/publikationen/wochenberichte/2023_03_2/erneut_mehr_frauen_in_vorstaenden_grosser_unternehmen_____durch_beteiligungsgebot_angestossene_dynamik_laesst_aber_nach.html [19.01.2023]
Koburtay, Tamer / Syed, Jawad / Haloub, Radi, 2019, Congruity between the female gender role and the leader role: a literature review, European Business Review, 31, S. 831-848
Schmidt, Jörg / Stettes, Oliver, 2018, Frauen in Führungspositionen, IW-Report 14/2018
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