Attributionsfehler - Schuld sind immer die Anderen!?

Wer kennt es nicht? Wird man in einem vollen Bus angerempelt, ist die Person wohl ein rücksichtsloser und unhöflicher Mensch. Rempelt man hingegen selbst jemanden an, hat der Busfahrer zu stark gebremst oder man hat die Person einfach übersehen. Doch warum wird dieselbe Aktion von uns unterschiedlich gewertet?

Im täglichen Leben versuchen wir ständig, sowohl unser als auch das Verhalten anderer zu verstehen und Ursachen für dieses zu finden, um die Welt um uns herum besser erklären zu können (Fincham/Hewstone, 2002). Allerdings folgen wir dabei nicht einer objektiven Herangehensweise, sondern jede Person versucht durch subjektive Erklärungsversuche die Ursachen für bestimmte Ereignisse individuell nachzuvollziehen. Diese Ansätze von der Nutzung von Information hin zu kausalen Erklärungen für Verhaltensweisen werden in der Psychologie durch die Attributionstheorie näher beschrieben und analysiert.

Der Mensch als „naiver“ Wissenschaftler

Dieser Erklärungsansatz geht insbesondere auf Heider (1958) sowie Kelley (1967) zurück und wurde stetig weiterentwickelt. Demnach versuchen verschiedene Personen die Ursachen von bestimmten Ereignissen und Handlungen zu verstehen, indem sie verschiedene Beobachtungen zusammenfügen, die anschließend zu einer (plausiblen) Erklärung führen (Winkler, 2004).  Ist man der Ansicht, dass die Ursache eines bestimmten Verhaltens auf den Charakter zurückzuführen ist, liegt eine interne Attribution vor. Wenn einzelne Situationen jedoch das Verhalten auslösen, spricht man hingegen von externer Attribution (Ross, 1977). Dass uns bei diesen Erklärungsversuchen oft gravierende Fehler passieren - die wiederum in Fehleinschätzungen und Ungerechtigkeiten resultieren - ist ein Indikator dafür, dass der „gesunde Menschenverstand“ in den meisten Fällen nicht dazu geeignet ist, brauchbare Erklärungen zu liefern (Raab et al., 2010). Denn diese Attributionsfehler entstehen durch die Tendenz des Menschen, den Einfluss der Situation zu unter- und demgegenüber den Einfluss von bspw. Persönlichkeitsmerkmalen, Einstellungen oder Meinungen zu überschätzen.

Erfolge werden meistens intern, Misserfolge extern zugeschrieben

Zwei Beispiele aus unserem Alltag sollen dieses Problem verdeutlichen: Stellen Sie sich vor, dass Sie grade das Ergebnis einer Prüfung erfahren und diese nicht bestanden haben. Die Frage, die man sich nun als erstes stellt: Warum habe ich nicht bestanden? Die Antwort kann vielfältig ausfallen und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen könnte es sein, dass man das Nichtbestehen der Prüfung einem Mangel der eigenen Fähigkeit zuschreibt, was wiederum zu einem Verlust des Selbstwertgefühls führt. Zum anderen kann der Fehlversuch durch mangelnde Anstrengung und unzureichendes Lernen begründet werden. Dies würde im weiteren Verlauf dazu führen, dass man beim nächsten Mal mehr lernt, um ein Bestehen der Prüfung sicherzustellen (Hewstone/Fincham, 1997). Ein weiterer Erklärungsversuch würde den Professor für das schlechte Ergebnis verantwortlich machen, da die gestellte Prüfung viel zu schwer war. Der Grund für das Verhalten im letzteren Beispiel liegt vor allem darin begründet, dass Menschen ihr Selbstwertgefühl dadurch aufrechterhalten, indem sie die eigenen Erfolge eher intern, Misserfolge jedoch eher extern attribuieren (Carver et al., 1980).

Allgemein wurde dafür ein Klassifikationssystem nach Weiner (1985) entwickelt, bei welchem zwischen verschiedenen Ursachen für Erfolg oder Misserfolg unterschieden wird. Anhand des vorangegangenen Beispiels lassen sich diese Ursachen wie folgt einordnen:


Tabelle 1: Mögliche Ursachen für Erfolg bzw. Misserfolg bei einer Prüfung

 

 

Fehler bei Personalentscheidungen

 Auch im Arbeitsalltag sind Attributionsfehler nicht selten. Bewertet der Chef einen Mitarbeiter besonders kritisch, muss das nicht unbedingt heißen, dass er auch schlechte Ergebnisse liefert. Vielleicht handelt es sich dabei sogar um seine beste Kraft, die er durch Kritik versucht zu fördern. Da diese Begründung dem Mitarbeiter allerdings verborgen bleibt, löst dies negative Gefühle aus und er denkt, dass er keinen guten Job gemacht hat (Freitag, 2015).

Zudem sind auch Personalentscheidungen anfällig für Attributionsfehler. Kommt ein Bewerber zu spät zu einem Vorstellungsgespräch, so ist man schnell geneigt, die Gründe mithilfe intra-personeller Attribution zu suchen und von der Verspätung auf einen unzuverlässigen Bewerber zu schließen. Zusätzliche externale Ursachen werden im weiteren Verlauf auf das getroffene Urteil nur noch minimal positive Veränderungen haben.

Diese Zuschreibungen erfolgen vollkommen automatisch und lassen sich auf eine Eigenart der Informationsverarbeitung zurückzuführen: Negative Handlungen anderer erklärt sich unser Gehirn vor allem aus Persönlichkeitsmerkmalen heraus, eigene Handlungen eher aus einer bestimmten Situation (Jimenez, 2014).

Aber warum unterlaufen uns diese Fehler? Was kann man dagegen tun?

Bei unseren Versuchen, das Verhalten einer Person zu erklären, richten wir die Aufmerksamkeit vor allem auf die Person selbst und weniger auf die gesamte Situation. Da wir nicht wissen, was eine bestimmte Person an einem Tag erlebt hat (z.B. hat sie eine schlechte Note bei einer wichtigen Prüfung erhalten), werden diese situationsbedingten Information auch nicht genutzt, um bestimmte Verhaltensmuster zu verstehen (Aronson et al., 2010). Diesen verzerrten Urteilen und Attributionsfehlern kann man allerdings entgegenwirken, wenn man sich der Faktoren, die zu einem bestimmten Urteil geführt haben, bewusstwird und mögliche Fehlerquellen gezielt abfragt. Die eigene Einstellung kann nur dann geändert werden, wenn über gegenteilige Information bewusst und intensiv nachgedacht wird. Es reicht also nicht aus, nur die gegenteiligen Informationen zur Kenntnis zu nehmen (So, 2012). Darüber hinaus sollte man sich dem Impuls des ersten Eindrucks widersetzen.

Also: In zukünftigen Situationen mit Freunden, Arbeitskollegen oder Partnern nicht dem ersten Impuls folgen, Handlungen direkt und unbewusst internal zu attribuieren. Es ist besser, die gesamte Situation mit einzubeziehen und so mögliche Probleme und Konflikte gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Quellen:

Aronson, Elliot / Akert, Robin M. / Wilson, Timothy D., 2010, Sozialpsychologie, München

Butcher, James N. / Mineka, Susan / Hooley, Jill M., 2009, Klinische Psychologie, 13. Aufl., München

Carver, Charles S. / DeGregorio, Eileen / Gillis, Rod, 1980, Field-study evidence of an ego-defensive bias in attribution among two categories of observers, in: Personality and Social Psychology Bulletin, 6. Jg., Nr. 1, S. 44–50

So, Chaehan, 2012, Mensch, was für ein Irrtum!, https://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/psychologie-menschenkenntnis-ist-oft-nur-irrglaube-a-836012.html [20.11.2019]

Jimenez, Fanny, 2014, In der Falle der eigenen Superman-Fantasie, https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article124230097/In-der-Falle-der-eigenen-Superman-Fantasie.html [20.11.2019]

Fincham, Frank / Hewstone, Miles, 2002, Attributionstheorie und-forschung—Von den Grundlagen zur Anwendung, in: Stroebe, Wolfgang / Jonas, Klaus / Hewstone, Miles (Hrsg.) Sozialpsychologie, Berlin, S. 215–263

Heider, Fitz 1958, The psychology of interpersonal relations, New York

Hewstone, Miles / Fincham, Frank, 1997, Attributionstheorie und-forschung: grundlegende Fragen und Anwendungen, in: Stroebe, Wolfgang / Hewstone, Miles / Stephenson, Geoffrey M. (Hrsg.) Sozialpsychologie, Berlin, S. 177–217

Kelley Harold H., 1967, Attribution theory in social psychology, in: D. Levine (Hrsg.): Nebraska symposium on motivation, 15. Auflage, S. 192–238.

Freitag, Lin, 2015, Manager halten sich für toller, als sie sind, https://www.wiwo.de/erfolg/management/selbstwahrnehmung-manager-halten-sich-fuer-toller-als-sie-sind/12703218.html [20.11.2019]

Raab, Gerhard / Unger, Alexander / Unger, Fritz, 2010, Attributionstheorien, in: Raab, Gerhard / Unger, Alexander / Unger, Fritz (Hrsg.), Marktpsychologie, Wiesbaden, S. 77–96

Ross, Lee, 1977, The intuitive psychologist and his shortcomings: Distortions in the attribution process, in: Advances in experimental social psychology, Bd. 10, S. 173–220

Weiner, Bernard, 1985, An attributional theory of achievement motivation and emotion. In: Psychological review, 92. Jg., Nr. 4, S. 548

Winkler, Ingo, 2004, Aktuelle theoretische Ansätze der Führungsforschung. Schriften zur Organisationswissenschaft, https://www.econstor.eu/bitstream/10419/58210/1/716186438.pdf [20.11.2019]