In der aktuellen Debatte rund um Klima- und Umweltschutz wird von verschiedenen Akteuren zunehmend die Rolle des individuellen Konsums thematisiert. Jede und jeder einzelne Konsument, so der Tenor, solle bei seinen täglichen Konsumentscheidungen vermehrt auf Nachhaltigkeit achten. Umfragen zeigen, dass die Bereitschaft dazu grundsätzlich hoch ist (BMU, 2019). Die Umsetzung scheitert aber häufig an einem simplen Mechanismus: Dem Mind-Behavior Gap.
Umfragen zufolge geben 65% der Konsumenten an, nachhaltige Produkte kaufen zu wollen, aber nur 26% legen den Artikel schließlich auch in den Einkaufswagen. In der Forschung wird das unter anderem als Intention-Action-Gap (White et al., 2019) oder Mind-Behavior Gap bezeichnet. Dies liegt etwa an der menschlichen Tendenz dazu, einen kurzfristigen Nutzen wie zum Beispiel geringere Preise einem langfristigen abstrakten Nutzen wie Nachhaltigkeit vorzuziehen. In evolutionärer Hinsicht mag es nützlich gewesen sein, augenblicklich akute Bedürfnisse zu befriedigen, statt auf langfristige, größere Erträge zu hoffen. In der heutigen Zeit kann dies hingegen einige Probleme verursachen – wie z.B. den Klimawandel (van Vugt et al., 2014).
Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach
Dass wir Menschen dazu neigen, unmittelbare Belohnung zugunsten eines in fernerer Zukunft liegenden Ertrages vorzuziehen, zeigte sich schon in den 70er Jahren in einem eindrücklichen Experiment, welchem später durch eine daran angelehnte Kinder Überraschungs-Ei Werbung, zu noch mehr Bekanntheit jenseits der Wissenschaft verholfen wurde. Im sogenannten Marshmallow Experiment von Walter Michel wurde Kindern eine Belohnung vorgelegt und eine weitere Belohnung versprochen, wenn Sie eine Wartezeit von 15 Minuten überbrücken, ohne der Verlockung der ersten Belohnung nachzugeben. Über alle Bedingungen hinweg gelang dieses Ringen mit dem inneren Schweinehund nur 10 von 32 Kindern (Mischel/Ebbesen, 1970). Doch nicht nur Kinder werten längerfristige Ziele gegenüber kleineren kurzfristigen mehr ab. Auch für Erwachsene konnte diese Tendenz, wenn auch in einem etwas geringeren Maße, nachgewiesen werden (Green et al., 1994). Man könnte das Verhalten auch mit einem alten Sprichwort beschreiben: „dann lieber doch den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach!“
Das Klima als Marshmallow
Tatsächlich weist dieses Experiment große Parallelen zu einem Dilemma auf, das viele von uns Tag für Tag begleitet: Man geht auf dem Heimweg kurz in den Supermarkt, steht vor dem Regal, sucht grade noch schnell die Erdnussbutter für‘s Abendessen. Dann wird das vorgeblich umweltbewusste Selbst wieder vor die Wahl gestellt: nehme ich die nachhaltige Variante A oder das preiswerte Produkt B? Langfristiger positiver Effekt für die Umwelt auf der einen Seite, kurzfristige, finanzielle Ersparnis auf der anderen.
Genau mit dieser Entscheidung beschäftigen sich auch Klimaforscher, Verhaltensökonomen und Psychologen. Diese fanden heraus, dass kurzfristige, persönliche Vorteile wesentlich salienter erscheinen, wenn sie mit in der Zukunft liegenden Vor- bzw. Nachteilen für die Umwelt verglichen werden (Amel et al., 2017)(z.B. keine Regenwaldrodung für Palmöl Plantagen, dadurch weniger CO2 freigesetzt und langfristig mehr CO2 in O2 umgewandelt, dadurch wiederum weniger Treibhauseffekt, weniger Erderwärmung, weniger Überflutungen in Risikogebieten). Ebenso zeigt sich, dass Konsumenten einen (Nachhaltigkeits-) Nutzen umso weniger gewichten, je weiter dieser in der Zukunft liegt (van Vugt et al., 2014; Hardisty/Weber, 2009). Für diejenigen unter uns, die die Folgen des Klimawandels wohl wahrscheinlich nicht mal mehr selbst miterleben müssen, mag der Mehrwert nachhaltiger Handlungen wohl noch abstrakter und realitätsferner erscheinen.
Schlimmer wird’s immer
Hinzu kommt noch, dass es sich bei Handlungen, die die Klima-Folgen berücksichtigen, oft nicht um Handlungen handelt, die konkrete selbstrelevante Ziele betreffen. Selbstregulation (kurzfristiger Verzicht zur Erreichung eines längerfristigen Ziels) gelingt nämlich vor allem dann, wenn der scheinbar mühsamere, langfristige Nutzen ein selbstbezogenes Ziel betrifft (z.B. der Verzicht auf ein Stück Kuchen, um ins Hochzeitskleid zu passen). Da klimaschützendes Verhalten jedoch über das direkte Selbst hinaus geht, wird hier mehr Energie benötigt, um der Versuchung zu widerstehen.
Noch schwieriger wird’s, wenn die Batterie, die die Power für die Selbstregulation liefert (wie im obigen Beispiel nach Feierabend) leer ist. Dann tendieren wir alle nochmal mehr dazu, den Verlockungen der Süßwarenabteilung nachzugeben oder eine impulsive Kaufentscheidung zu tätigen (Baumeister, 2002). Grade dann sieht es für den kognitiv aufwändigeren, nachhaltigen Einkauf besonders schlecht aus.
Verhaltensökonomisch gewappnet durch den (Konsum-)Alltag
Aber es gibt Hoffnung: Forscher haben herausgefunden, dass es diverse Möglichkeiten sowohl für die verkaufenden Unternehmen als auch für die Konsument gibt, diesen täglichen Fallen zu entgehen.
Chancen für Produzenten
Stellen Produzenten bei diesen nachhaltigen Produkten z.B. einen Selbstbezug her, der den positiven Nutzen greifbarer macht, erleichtert das die Kaufentscheidung. Umweltfolgen und notwendige Handlungen werden beispielsweise umso direkter aufgefasst, wenn sie sich auf einen bestimmten Ort beziehen (Raymond et al., 2011; Gifford, 2014), persönliche Erfahrungen mit dem Klimawandel erläutert werden (Weber, 2010) oder auf aktuelle Ereignisse (Dürre Periode oder ähnliches) Bezug nehmen (Li et al., 2011). Konfrontiert mit solchen Infos tendieren wir eher dazu, nachhaltiger zu handeln und gegebenenfalls im Supermarkt eben doch die umweltschonende Variante zu wählen.
Eine weitere Chance liegt darin, Konsumenten dazu anzuregen, abstrakter zu denken und sich mehr auf die positiven Konsequenzen nachhaltigen Handelns zu fokussieren (Reczek et al., 2018).
Chancen für Konsumenten
Wer sich als Konsument selbst auf den Nachhaltigkeits-Kurs bringen möchte, muss sich auch nicht schutzlos den Fallen des Alltags ausliefern. Menschen mit einem zukunftsorientierteren Fokus tendieren eher dazu, klimafreundlich zu handeln (Joireman et al., 2004). Einfacher Trick: Denken an nachfolgende Generationen erleichtert zum Beispiel einen vom „jetzt“ gelösten Fokus. Alternativ helfen auch klare Handlungsintentionen („wenn ich nach der Arbeit einkaufen gehe, kaufe ich…“) anstelle von allgemein gehaltenen Absichten („Ich kaufe nur noch Bio“), sich Vorsätzen entsprechend zu verhalten (Gollwitzer/Schaal, 1998).
Fazit
Es gibt also durchaus noch allen Grund zur Hoffnung, Menschen zu nachhaltigerem Konsum zu bewegen (Osbaldiston/Schott, 2012). Dass dies für das Gemeinwohl nicht unerheblich ist, konnten 2015 norwegische Wissenschaftler zeigen. Sie fanden heraus, dass bis zu 60% der weltweit ausgestoßenen Treibhausgase direkt auf das Konsumverhalten aller Haushalte zurückgehen.
Wenn Sie also das nächste Mal in Eile vor dem Supermarktregal stehen und überlegen, ob’s die nachhaltige Option wird oder nicht, denken sie einfach an ihre Kinder. Die freuen sich sicher über das zweite Marshmallow…
Quellen
Amel, Elise / Manning, Christie / Scott, Britain / Koger, Susan, 2017, Beyond the roots of human inaction: Fostering collective effort toward ecosystem conservation, in: Science (New York, N.Y.), 356. Jg., Nr. 6335, S. 275–279
Baumeister, Roy F., 2002, Yielding to Temptation: Self‐Control Failure, Impulsive Purchasing, and Consumer Behavior, in: Journal of Consumer Research, 28. Jg., Nr. 4, S. 670–676
BMU, 2019, Umweltbewusstsein in Deutschland 2018.
Gifford, Robert, 2014, Environmental psychology matters, in: Annual review of psychology, 65. Jg., S. 541–579
Gollwitzer, P. M. / Schaal, B., 1998, Metacognition in action: the importance of implementation intentions, in: Personality and social psychology review : an official journal of the Society for Personality and Social Psychology, Inc, 2. Jg., Nr. 2, S. 124–136
Green, Leonard / Fry, Astrid F. / Myerson, Joel, 1994, Discounting of Delayed Rewards: A Life-Span Comparison, in: Psychological science, 5. Jg., Nr. 1, S. 33–36
Hardisty, David J. / Weber, Elke U., 2009, Discounting future green: money versus the environment, in: Journal of experimental psychology. General, 138. Jg., Nr. 3, S. 329–340
Joireman, Jeffrey A. / van Lange, Paul A. M. / van Vugt, Mark, 2004, Who Cares about the Environmental Impact of Cars?, in: Environment and Behavior, 36. Jg., Nr. 2, S. 187–206
Li, Ye / Johnson, Eric J. / Zaval, Lisa, 2011, Local warming: daily temperature change influences belief in global warming, in: Psychological science, 22. Jg., Nr. 4, S. 454–459
Mischel, Walter / Ebbesen, Ebbe B., 1970, Attention in delay of gratification, in: Journal of Personality and Social Psychology, 16. Jg., Nr. 2, S. 329–337
Osbaldiston, Richard / Schott, John Paul, 2012, Environmental Sustainability and Behavioral Science, in: Environment and Behavior, 44. Jg., Nr. 2, S. 257–299
Raymond, Christopher M. / Brown, Gregory / Robinson, Guy M., 2011, The influence of place attachment, and moral and normative concerns on the conservation of native vegetation: A test of two behavioural models, in: Journal of Environmental Psychology, 31. Jg., Nr. 4, S. 323–335
Reczek, Rebecca Walker / Trudel, Remi / White, Katherine, 2018, Focusing on the forest or the trees: How abstract versus concrete construal level predicts responses to eco-friendly products, in: Journal of Environmental Psychology, 57. Jg., S. 87–98
van Vugt, Mark / Griskevicius, Vladas / Schultz, P. Wesley, 2014, Naturally Green: Harnessing Stone Age Psychological Biases to Foster Environmental Behavior, in: Social Issues and Policy Review, 8. Jg., Nr. 1, S. 1–32
Weber, Elke U., 2010, What shapes perceptions of climate change?, in: Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change, 1. Jg., Nr. 3, S. 332–342
White, Katherine / Habib, Rishad / Hardisty, David J., 2019, How to SHIFT Consumer Behaviors to be More Sustainable: A Literature Review and Guiding Framework, in: Journal of Marketing, 83. Jg., Nr. 3, S. 22–49