Attributionsfehler verstehen: Wie wir andere falsch beurteilen und wie wir das vermeiden

Stellen Sie sich vor, Sie gehen in ein Restaurant und freuen sich auf einen schönen Abend. Der Kellner, der Sie bedient, ist jedoch sehr unfreundlich. Er wirkt ungeduldig, mürrisch und macht Fehler bei Ihrer Bestellung. Ihr erster Instinkt ist es, dieses Verhalten auf die Persönlichkeit des Kellners zurückzuführen. Sie denken, er muss ein unhöflicher und launischer Mensch sein.

Der Kellner ist sich seines Verhaltens bewusst. Er weiß, dass er normalerweise ein sehr netter, fröhlicher Mensch ist, aber seine Chefin hat dem Personal vor der Schicht schlechte Nachrichten mittgeteilt und nun muss er in einem völlig überfüllten Restaurant arbeiten.

Der Mensch als intuitiver Psychologe

Solche Situationen sind in vielen sozialen Interaktionen häufig zu beobachten und lassen sich auf den fundamentalen Attributionsfehler zurückführen. Dieser Begriff aus der Sozialpsychologie beschreibt die Tendenz, das (negative) Verhalten anderer zu stark auf interne Faktoren wie Persönlichkeit, Meinungen und Einstellungen zurückzuführen, obwohl das Verhalten eigentlich durch externe Umstände erklärt werden könnte (Gilbert & Malone, 1995). Erfolge hingegen werden oft äußeren Bedingungen zugeschrieben.

Dies liegt am natürlichen Instinkt des Menschen, die Geschehnisse seiner Umwelt verstehen zu wollen. Er agiert als „intuitiver Psychologe“ und versucht, das Verhalten seiner Mitmenschen zu analysieren. Dabei nutzt er Heuristiken (information shortcuts). Der Mensch analysiert die ihm dargebotenen Informationen (im Fall des Kellners ein unfreundlicher Umgang mit seinen Gästen) und erstellt anhand dessen sein Urteil. Aufgrund von Voreingenommenheit und fehlender Perspektive kann hier ein falsches Urteil entstehen (Ross, 1977).

Umgekehrt neigen Menschen dazu, ihr eigenes (negatives) Verhalten überwiegend auf situative Umstände zu attribuieren und ihren Erfolg als persönliche Leistung zu betrachten (Erb, 2018).

 

Anwendung

Der Attributionsfehler ist in vielen sozialen Interaktionsbereichen zu erkennen, beispielsweise auch im beruflichen Umfeld.

Prof. Christopher Paul beschäftigt sich mit dem fundamentalen Attributionsfehler in der Betriebswirtschaftslehre und arbeitet drei zentrale Praxisbeispiele heraus:

  • Personalentscheidungen

Besonders bei Bewerbungsgesprächen neigen Entscheider dazu, ihre Wahrnehmung des Bewerbers auf internale Faktoren zu beschränken. Wenn ein Bewerber beispielsweise verspätet oder in ungepflegter Kleidung erscheint, wird er folglich als unprofessionell und nachlässig eingestuft. Ebenso möglich ist jedoch, dass externe Einflussfaktoren wie eine ausgefallene Bahn oder ein Regenschauer für das Auftreten des Bewerbers verantwortlich sind.

  • Marketing

Laut Prof. Paul wird der fundamentale Attributionsfehler im Marketing bewusst eingesetzt. Die kognitiven Verzerrungen des Menschen können nämlich nicht nur Personen, sondern auch Objekte betreffen. Positive Eigenschaften werden in der Werbung gezielt bestimmten Produkten zugeordnet. Als Beispiel nennt er Eigenschaften wie Sportlichkeit oder Charisma, die Deodorant oder Parfum zugewiesen werden.

  • Projektmanagement

Auch im Projektmanagement, besonders in der Ergebnisbeurteilung, entstehen Fehlzuweisungen. Die Tendenz, bei anderen im Fall von Misserfolgen dispositionale Einflüsse zu überschätzen und bei Erfolgen zu unterschätzen, bleibt hier nicht aus. Gute Leistungen werden also nicht so schnell mit den persönlichen Einflüssen des Projektleiters beispielsweise in Verbindung gebracht wie schlechte.

 

Wie vermeiden wir den Attributionsfehler?

Eine Studie von Pronin, Linn und Ross aus 2002 weist nach, dass Menschen sich selbst als weniger anfällig für Voreingenommenheit halten als ihre Mitmenschen, selbst wenn sie erst kurz vorher über die Wege, in denen sie beeinflusst sein könnten, informiert werden.

Dennoch gibt es Möglichkeiten den Attributionsfehler bei sich zu vermeiden (Muelas Lobato, 2023):

  • Perspektivwechsel

Versetzen Sie sich in Ihr Gegenüber hinein. Hätten sie womöglich ähnlich gehandelt? So werden Ihnen die situativen Bedingungen womöglich deutlicher.

  • Konsens feststellen

Beobachten Sie ob andere Menschen sich ähnlich verhalten. Vielleicht fällt Iihnen auf, dass die anderen Kellner im Restaurant mit einem ebenso mürrischen Ausdruck arbeiten. Womöglich liegt die Ursache des Verhaltens ihres Kellners an den Arbeitsbedingungen und nicht an seiner Persönlichkeit.

  • Selbstreflexion

Reflektieren Sie Ihr Urteil. Machen Sie sich bewusst, dass der Mensch oft nicht objektiv urteilt, und vergessen Sie nicht Ihre eigenen Vorurteile und Tendenzen.

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Quellen:

Erb, Hans-Peter, 2018, Der fundamentale Attributionsfehler, Der fundamentale Attributionsfehler - Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg (hsu-hh.de) [02.01.2025]

Gilbert, Daniel T. / Malone, Patrick S., 1995, The correspondence bias. Psychological Bulletin, 117. Jg., Nr. 1, S. 21–38.

Lee Ross, 1977, The intuitive psychologist and his shortcomings: Distortions in the attribution process, in: Advances in Experimental Social Psychology, L., S.173-220

Muelas Lobato, Roberto, 2023, Grundlegender Attributionsfehler, Grundlegender Attributionsfehler - Gedankenwelt [02.01.2025]

Paul, Christopher, 2017, Der fundamentale Attributionsfehler in der Betriebswirtschaftslehre, WiSt – Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Heft 1, S. 40-42

Pronin, Emily / Lin, Daniel, Y. / Ross, Lee ,2002, The bias blind spot: Perceptions of bias in self versus others. Personality and Social Psychology Bulletin, 28. Jg., Nr. 3,S.  369–381

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Veröffentlicht von:

Anna von Witzendorff

Anna arbeitet als studentische Mitarbeiterin im Kompetenzfeld Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik des IW Köln. Sie studiert im Bachelor VWL an der Universität zu Köln.