Das Individuum und der Müll

In Deutschland hat das Thema der Mülltrennung die Gesellschaft durchdrungen und wird von vielen als etwas selbstverständliches und notwendiges zum Wohle des Klimas angesehen. Doch unterliegen wir hier eher verhaltensökonomischen Biases?

Zu diesem Thema äußerte sich zuletzt auch Thilo Bode, ehemaliger Geschäftsführer von Greenpeace, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 02.02.2019: „Ich habe mal vor einigen Lehrern über den Klimawandel geredet. Dann habe ich gesagt, den Müll zu trennen, vergessen Sie es, das bringt nichts, das ganze Zeug kommt nachher eh in die Müllverbrennungsanlage. Die hätten mir fast den Hals umgedreht, Müll trennen – das ist doch wichtig, was sollen wir unseren Kindern sagen?“ (Heidtmann, 02.02.2019). Klar, das ist vereinfacht dargestellt, aber wenn es keine so große Wirkung hat – wieso glauben wir dann so stark an die Mülltrennung?

Was hinter unserem eigenen Verhalten im globalen Kampf gegen den Klimawandel steht

Seit mehreren Jahren beschäftigen sich auch viele Wissenschaftler mit dem Thema. Czajkowski et al. (2012) untersuchen die Mülltrennung verschiedener Haushalte in einem Wohnviertel von Warschau. Dort konnten die Haushalte entweder ihren Müll selbst sortieren oder dies den dafür zuständigen Firmen überlassen. Hierbei stellten sie fest, dass die Haushalte sogar dann den Müll selbst sortieren wollen, auch wenn dies eine externe Firma ohne zusätzliche Kosten für die Haushalte übernimmt. Czajkowski et al. schließen daraus, dass es nicht (nur) ökonomische Anreize sind, die hinter der Mülltrennung stehen. Sie nennen drei Gründe, die sie unter den teilnehmenden Haushalten identifizieren konnten:

  • Der Wunsch nach einem nachhaltigen und ökologischen Selbst- und Fremdbild (self-image und social-image concerns),
  • die Überzeugung, den Müll besser zu trennen als die dafür zuständigen Firmen und
  • die eigene moralische Pflicht, den Müll zu trennen.

Bei allen Aspekten sind das Selbstbild und das Fremdbild von Bedeutung, also was wir für ein Bild von uns selbst haben, wenn wir eine bestimmte Handlung vollziehen oder was andere von uns bei der gleichen Handlung denken (Senatore/Fiorillo, 2016). Mit Hinblick auf Czajkowski et al. lässt sich also formulieren: Wir trennen den Müll, damit wir selbst, und auch andere, ein besseres, ökologisches Bild von uns haben. Diese Motivation ist so stark, dass wir keine ökonomischen Anreize dafür brauchen. Jakob et al. (2017) konnten in einem Experiment nachweisen, dass wir uns selber in der Pflicht sehen, unser eigenes Bild selbst zu korrigieren. Als Beispiel: Wenn ich beim Einkauf nicht darauf achte, möglichst wenig unnötige Verpackung zu benutzen oder mit einzukaufen, dann trenne ich diesen Müll stattdessen sehr sorgfältig, um den verursachten Müll scheinbar zu beseitigen. Dadurch erhalten wir das Bild als nachhaltig lebende Person aufrecht. Dies ist mittlerweile ein Ideal, dass von vielen angestrebt wird. Laut Jakob et al. (2017) tun wir dies sogar, wenn enorme Kosten für uns selbst entstehen und das Ergebnis unseres Handelns vielleicht deutlich ineffizienter ist, als wenn jemand anderes, der exakt dafür zuständig ist, unseren ‚Müll beseitigt‘.

Überträgt man diese Motivation wieder auf das Zitat von Thilo Bode vom Anfang kann man sehen: Auch wenn wir wissen, dass möglicherweise vieles „eh in die Müllverbrennungsanlage kommt“, trennen wir weiterhin den Müll, um uns als moralisch und ökologisch einwandfreie Personen zu positionieren , die ihren eigenen Müll zum Wohle des Klimas beseitigen.

Ein weiterer Grund für die heftige Reaktion auf Bodes Aussage hängt ebenfalls mit unserem Selbstbild zusammen. In diesem Fall geht es darum, dass unser Selbstbild durch neue Informationen in Gefahr gebracht wird. Gemäß dem Fall, dass alles in der Müllverbrennungsanlage landen würde, ergäbe unser Verhalten keinen Sinn mehr. Dana et al. (2007) untersuchten in einem Experiment genau diesen Aspekt: Was ist, wenn durch neue Informationen unser aktuelles Verhalten und damit auch unser Bild von uns selbst ins Wanken geraten könnte? Über 44 Prozent der an dem Experiment Beteiligten deckten diese möglicherweise imagegefährdende Information erst gar nicht auf, sie hatten also Angst davor, dass ihr Selbstbild ins Wanken gerät. Genauso reagieren viele Menschen auch heutzutage: Man könnte sich informieren, was mit dem Müll geschieht, nachdem man ihn in getrennte Tonnen geworfen hat. Viele tun es aber nicht, weil dadurch klar würde, dass ihr eigenes Verhalten gar nicht so nachhaltig ist, wie sie von sich selbst denken.

Ist das eine zu fatalistische Sicht? Vielleicht. Auch in Deutschland ist es beim Thema Mülltrennung oft nicht so negativ wie beschrieben (Uken, 2007). Allerdings sollte man sich im klaren darüber sein, dass man gelegentlich kognitiven Verzerrungen unterliegt. Wenn man aber wohlinformiert viele kleine Schritte in die richtige Richtung geht, kommt man trotz allem ans Ziel.

 

 

Quellen

Czajkowski, Mikolaj / Hanley, Nicholas / Kadziela, Tadeusz, 2012, We want to sort! – assessing households‘ preferences for sorting waste, 2012-01, ideas.repec.org/p/stl/stledp/2012-01.html

Dana, Jason / Weber, Roberto / Kuang, Jason Xi, 2007, Exploiting Moral Wiggle Room: Experiments Demonstrating an Illusory Preference for Fairness, in: Economic Theory, 33. Jg., Nr. 1, S. 67–80

Heidtmann, Jan, 02.02.2019, „Da lügen wir uns regelmäßig in die Tasche“. Thilo Bode im Interview, in: Süddeutsche Zeitung, 02.02.2019, S. 52

Jakob, Michael / Kübler, Dorothea / Steckel, Jan Christoph / van Veldhuizen, Roel, 2017, Clean up your own mess: An experimental study of moral responsibility and efficiency, in: Journal of Public Economics, 155. Jg., S. 138–146

Senatore, Luigi / Fiorillo, Damiano, 2016, Self Image and Environmental Attitude and Behavior, in: Discussion Paper CELPE, Nr. 140

Uken, Marlies, 2007, Der Müll und die Mythen, www.greenpeace-magazin.de/der-muell-und-die-mythen [08.02.2019]

 

Simon arbeitet als studentischer Mitarbeiter im Kompetenzfeld Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik des IW Köln. Er studierte im Bachelor Betriebswirtschaftslehre und derzeit Volkswirtschaftslehre im Master an der Universität zu Köln.